Langsam bewegte sich der Zug an der verschneiten Landschaft vorbei den Berg hinauf und rollte schließlich in den Bahnhof des Bergkurortes. Nina stand bereits an der Türe des Wagons. Sie wollte gleich auf dem Bahnsteig sein und dann schnell ein Taxi bekommen. In dem Zug befanden sich doch mehr Wintergäste, als gedacht. Ihre Tante, die sie zu dem Urlaub eingeladen hatte, riet ihr, erste Klasse zu buchen, doch Nina verschwendete nicht gerne Geld. Da wäre es vermutlich nicht ganz so voll gewesen.
Einige der Zuggäste hatten sogar ihre eigenen Skier dabei, und erstaunlich viel Gepäck. Nina reichten da ihre zwei Koffer und ihre große Handtasche. Es war nicht so, dass sie von dem Gewicht der Koffer überfordert gewesen wäre, aber sie kam sich mit all dem Gepäck vor, wie ein Muli. Wenigstens zahlte sich das viele Krafttraining endlich mal aus. Neben Schwimmen und Joggen trainierte sie auch viel mit Gewichten. Und bald sollte Ski dazukommen, worauf sie sich schon freute. Ihre Tante hatte sie nicht nur zu diesem Winterurlaub eingeladen, sondern ihr auch noch einen Skikurs bezahlt.
In ungefähr einer Woche wollte die Tante dazukommen. Nina überlegte, was das alles sollte. Schließlich hätte sie auch ihre Eltern um einen Skiurlaub bitten können. Aber vermutlich sollte das einfach eine nette Geste sein. Alleine deshalb hätte sie das Geschenk nicht ablehnen können. Sie hatte da vor, sich zum Skifahren mit einem guten Freund oder einem Geschäftspartner zu treffen. Sie sagte, sie würde sich freuen, wenn ihre Nichte mitkommt. Was die junge Frau nicht wusste, dass dieser Skiurlaub ihr gesamtes Leben verändern sollte.
"Ins Hotel Wolfgangsee, bitte.", sagte Nina zu dem Taxifahrer, der gerade ihr Gepäck in den Kofferraum lud.
Aus den Fenstern des Taxis konnte sie den idyllischen Skiort begutachten. Sie fuhren vorbei an den mehrstöckigen Alpenhäusern. Viele hatten Geschäfte oder Lokale im Erdgeschoss. Exklusive Modeläden befanden sich hier neben urigen Restaurants. Da gab es Banken, Friseure, ein Fast-Food-Restaurant und exklusive Boutiquen, von sportlich bis elegant. Im Hintergrund bildeten die verschneiten Gipfel ein sagenhaftes Panorama.
Am Hotel angekommen, atmete Nina die klare, frische Bergluft bewusst ein. Der gesamte Skiort hatte eine freundliche, entspannte Atmosphäre und wirkte wie aus einem Wintermärchen.
Nina bezog eine charmante kleine Suite mit Blick auf die Skipisten. Das Zimmer war geschmackvoll eingerichtet und wirkte eher modern als alpenländlich. Es hatte einen Kamin und eine große Fensterfront. Sie fühlte sich sofort wohl und freute sich darauf, die nächsten zwei Wochen hier zu verbringen.
Nach ihrem obligatorischen Nachmittagsschlaf erkundete Nina den Skiort. Es wurde langsam dunkel. Sie schlenderte durch die kleinen Gassen bis ins Ortszentrum mit seinen vielen Ständen und ließ sich von der winterlichen Stimmung anstecken. Die Lichterketten und der Duft von Glühwein, gebrannten Mandeln und frischgebackenen Plätzchen versetzten sie in eine fröhliche Stimmung. Sie überlegte, noch in eine der Kneipen zu gehen, beschloss dann aber, ins Hotel zurückzukehren.
Am nächsten Morgen erkundigte sich Nina wegen des Skikurses an der Rezeption. Sie war gespannt, was sie erwartete und hoffte, ihre kaum vorhandenen Skifahrkünste auf ein gewisses Level bringen zu können.
Der Kurs startete bereits in zwei Stunden. Zum Glück konnte man ihr an der Rezeption noch rechtzeitig die passende Leih-Ausrüstung vermitteln. Sie sollte zu einem Skigeschäft gehen, wo noch einige Einstellungen getätigt wurden, sodass sie sich ein wenig verspätete.
Es war der erste Tag des Skikurses. Die Sonne strahlte vom blauen Himmel und tauchte die verschneite Landschaft in ein glitzerndes Licht. Eine kleine Gruppe von Anfängern hatte sich am Treffpunkt versammelt. Nina fragte sich, wer von denen der Kursleiter sein sollte. Doch offenbar kam der auch ein wenig zu spät.
In dem Augenblick erschien ein Mann in einem schicken Outfit. Man sah ihm an, dass er der Skilehrer war. Er sah richtig gut aus. Sein Gesicht war kantig und breit. Sein braunes Haar ergraute bereits an einigen Stellen.
"Guten Tag, zusammen! Ich bin Arnold. Ich hoffe, ihr seid alle bereit für ein paar spannende Tage in unserem Pistenparadies."
Die Gruppe machte sich auf den Weg zur Piste. Nicht viel später gab Arnold geduldig die ersten Anweisungen. "Stellt euch locker hin, die Knie leicht gebeugt. Es ist wichtig, dass ihr das Gleichgewicht haltet," erklärte er und demonstrierte die Bewegungen.
Während des Nachmittags machte Nina ihre ersten Erfahrungen auf Skier. Es klappte ganz gut und fiel ihr leicht, die Bewegungen zu kontrollieren. Durch das viele Joggen war sie nicht gerade schwach auf den Beinen.
"Du bist ja ein Naturtalent, Nina." Arnold fiel auf, dass Nina schnelle Fortschritte machte. "Wie kommt es, dass du bisher nicht auf Skier standest?"
"Ich bin auf Mallorca aufgewachsen. Wir haben dort richtig gewohnt, auch im Winter. Meine Eltern leben da immer noch, aber ich studiere jetzt in München."
Während des Nachmittags merkte Nina, dass sie sich gut mit Arnold verstand. Sie lachten manchmal miteinander und er erklärte ihr wirklich gut, wie sie richtig bremste, ohne gleich komplett stehen zu bleiben.
"Und, was sagst du zu deinem ersten Tag auf Skier?", wollte Arnold am Ende wissen.
Nina strahlte. "Es ist großartig! Ich hätte nicht gedacht, dass es so viel Spaß macht. Danke für die Geduld, Arnold."
Arnold zwinkerte ihr zu. "Dazu bin ich ja da, Nina. Du machst das unglaublich gut für den ersten Tag. Bald wirst du die Pisten herunterbrettern wie Rosi Mittermaier."
Die nächsten zwei Tage waren geprägt von intensiven Übungseinheiten und kleinen Erfolgserlebnissen. Arnold zeigte Nina und der Gruppe verschiedene Techniken, und Schritt für Schritt wurden sie sicherer auf den Skiern. Zwischen den Übungseinheiten unterhielten sich Nina und Arnold auffällig oft miteinander. Nina suchte wie von selbst Arnolds Gesellschaft während der Pausen, und umgekehrt. Arnold fand es interessant, dass Nina auf Mallorca groß geworden ist.
"Wurdest du da auch geboren?"
"Nein, ursprünglich kommen wir aus Starnberg. Aber meine Eltern sind ausgewandert, als ich drei war. Für mich war es als Kind total super, einen Pool im Garten zu haben."
"Das kann ich mir vorstellen. Ich finde es toll, an Orten zu leben, an denen andere Leute Urlaub machen."
"Ja, das hat etwas. Dann bist du auch hierher gezogen?"
"Nein, um Gottes willen. Ich bin hier geboren."
Irgendwann am Nachmittag, als sie eine Pause auf der Terrasse einer Berghütte machten und da Glühwein tranken, unterhielten sie sich mal wieder miteinander.
"Warum hast du dich eigentlich gerade jetzt entschieden, Skifahren zu lernen?", fragt Arnold neugierig.
Nina lächelte. "Meine Tante hat mir den Urlaub geschenkt. Sie dachte, es wäre gut für mich, etwas Neues auszuprobieren. Sie will bald hierherkommen und mit mir Skifahren."
"Dann werde ich mal dafür sorgen, dass du eine gute Figur abgibst. Wobei du das sowieso schon tust."
"Danke", sagte Nina.
Im Laufe der nächsten zwei Tage teilten Nina und Arnold weiter ihre persönliche Geschichten und lachten über ihre kleinen Missgeschicke oder Scherze. Natürlich musste er sich auch um die anderen Schüler kümmern. Die wären nicht gerade begeistert davon gewesen, wenn sich ihr Skikurs in einen Privatunterricht für Nina verwandelte. Da sie aber recht schnell lernte, musste Arnold sie inzwischen kaum noch korrigieren und hatte mehr Zeit für die Anderen. Nur in den Pausen, wenn sie meist über private Dinge sprachen, saßen sie fast immer nebeneinander. Ein Mal hatte er ihr sogar den Platz neben sich frei gehalten.
Für den Abend hatte die gesamte Gruppe ausgemacht, zusammen auszugehen. Ein Freund von Arnold arbeitete in einer der angesagtesten Bars im Ort. Der konnte ihnen dort etwas reservieren. Sie wurden von einer Dame am Eingang gleich abgeholt und zu ihrem Tisch geleitet. Der Abend wurde richtig lustig und Nina lernte auch die übrigen Kursteilnehmer noch ein wenig besser kennen. Die Zungen lösten sich etwas und man erzählte mehr Privates. Eine der Frauen im Kurs fühlte sch zum Beispiel von dem Freundeskreis ihres neuen Mannes im Winter ausgeschlossen, weil sie bisher nicht fähig war, auch nur den kleinsten Berg herunterzukommen, ohne mehrmals hinzufallen.
Offenbar war Arnolds Freund der Geschäftsführer der Bar. Und sie schienen besser befreundet, als es am Anfang den Anschein hatte. Irgendwann kam Robert zum Tisch und legte seinen Arm um Arnold.
"Wir beide kennen uns schon seit dem Kindergarten.", sagte Robert zu Nina. "Er ist mein allerbester Freund und er war bisher immer für mich da. Egal welches Problem du hast, er findet eine Lösung. Mir hat er mal angeboten, mich bei ihm im Keller zu verstecken, bis alles wieder gut ist."
"Was war das denn für ein Problem?", scherzte Nina. "Aber gut zu wissen. Falls ich mal nicht gefunden werden möchte, ziehe ich zu Arnold in den Keller."
"Jederzeit", versicherte Arnold lachend. "Das Angebot steht. Das meine ich ernst. Egal wann, egal warum."
Später, nachdem Robert fortging und auch die meisten Leute aus dem Kurs, erzählte Arnold von seinem Leben in dem Skiort. "Ich lebe hier schon immer.", sagte er. "Meine Freunde kenne ich auch schon Ewigkeiten, wie du gerade mitbekommen hast. Wir können tun und lassen, was wir wollen. Vor allem, wenn wir oben auf den Gipfeln sind."
"Mich hat es bisher eher ans Meer gezogen.", erzählte Nina. "Kein Wunder. Ich komme ja eigentlich aus Mallorca und bin erst vor ein paar Jahren nach München gezogen."
"Du, wir sind auch mehrere Monate am Meer. Sobald der Schnee schmilzt, geht es immer mit Freunden zum Surfen, meist nach Tamarindo in Costa Rica. Aber dieses Jahr haben wir mal wieder Oahu geplant."
"Das ist ja bei Hawaii.", sagte Nina. "Da wollte ich schon immer mal hin. Was macht ihr da?"
"Surfen. Also Wellenreiten. Wir fliegen immer als Gruppe, so ungefähr sechs bis acht Leute. Je nachdem, wer Zeit hat."
"Ist denn im Sommer keine Saison?", interessierte sich Markus, einer der Kursteilnehmer. Er hatte gerade mitbekommen, über was gesprochen wird.
"Doch. Dann kehren wir auch zurück. So viel gibt es hier im Sommer aber nicht zu tun für uns. Außer unsere jährliche Sommerparty, ein Rave am See. Das ist sehr viel Arbeit, macht aber eine Menge Spaß. Und danach geht es nochmal zum Surfen nach Portugal."
"Wie lange bleibt ihr da immer?", wollte Sandra wissen, die Freundin von Markus.
"Zwei Monate Costa Rica, ein Monat Portugal."
"Das hört sich fantastisch an.", jubelte Nina.
Nachdem sie die Bar verließen, brachte Arnold Nina noch zu ihrem Hotel. Den gesamten Rückweg knisterte es und sie flirteten ständig miteinander. Kurz vor dem Eingang wollten sie sich voneinander verabschieden. Ninas Knie wurden weich, weil sie ahnte, was kommen könnte.
"Dann wünsche ich dir eine gute Nacht.", sagte Arnold und näherte sich mit seinen Lippen. Doch dann machte er einen Rückzieher und gab ihr ein Bussi auf die Wange."
Nina war verwirrt. Dann eben bis morgen.
Am nächsten Tag saß Arnold neben Nina im Sessellift. Es ging zu einer etwas längeren Strecke von mittelmäßiger Schwierigkeit. Der Weg führte über verschneite Baumspitzen, und die Aussicht auf die umliegenden Berge war atemberaubend. Während der Fahrt im Sessellift herrschte eine angenehme Stille zwischen ihnen.
Arnold schaute zu Nina und lächelte. "Ich bin wirklich froh, dass du zu mir in den Kurs bist." sagte er leise.
Nina erwiderte sein Lächeln. "Ich auch, Arnold. Die letzten Tage haben echt Spaß gemacht."
Arnold nahm Ninas Hand. "Weißt du, Nina, ich habe in letzter Zeit etwas über uns nachgedacht. Ich genieße jede Minute mit dir."
Nina fühlte sich überwältigt von den Gefühlen, die durch seine Worte in ihr entstanden. Sie überlegte, was sie entgegnen sollte, doch dann beschloss sie, ihn zu küssen. Arnold hatte offenbar denselben Gedanken und sie fanden im Nu zusammen.
Es war kein sehr langer Kuss. Schließlich dauerte die Fahrt keine Ewigkeiten und sie wollten auch nicht unbedingt von den anderen beim Knutschen beobachtet werden. Wobei es sowieso kein Geheimnis mehr war, dass sie sich zueinander hinzogen fühlten.
Am kommenden Vormittag wurde Nina von ihrer Tante im Hotel abgeholt. Mit Sebastian, ihrem Bekannten, wollten sie sich später am Skilift treffen. Die Tante freute sich, Nina mal wieder zu sehen. Sie tauschten Neuigkeiten aus. Da sie sich erst später mit trafen, war noch Zeit für eine Tasse Kaffee.
"Was hat das eigentlich mit deinem Bekannten auf sich?", erkundigte sich Nina. "Warum muss der unbedingt dabei sein?"
"Ach, das ist ein interessanter junger Mann. Sehr talentiert. Außerdem möchte ich ihm ein paar meiner Wohnungen verkaufen. Die leer Stehende in Baden-Baden und die zwei Appartements in Berlin Mitte. Sebastian hat eine Vermögensverwaltung und kauft immer wieder Objekte. Aber bring das bitte nicht zur Sprache. Unser Treffen heute ist eher privat. Deswegen freut es mich auch so, dass du dabei sein kannst."
Nina war nicht dumm. Ihre Tante hatte Übung darin, Geschäfte einzufädeln. Vermutlich hatte sie alles bis ins Detail geplant und versuchte gerade, die perfekte Atmosphäre zu erzeugen für einen späteren Verkaufsabschluss. Ihre Mutter meinte, sie würde auf jedes Detail bei so etwas achten. Das beginnt beim eigenen Aussehen und hört beim Raumduft in den zu verkaufenden Immobilien auf. Vermutlich hielt die Tante er für vorteilhafter, zur Auflockerung eine private Atmosphäre mit ihrer jungen und hübschen Nichte zu schaffen.
Sebastian wartete pünktlich am Skilift und winkte den beiden Frauen zu. Er war Mitte vierzig, sah aber jünger aus und wirkte sehr gepflegt bis eitel. Das ließ ihn zwar gut aussehend erscheinen, aber nur begrenzt. Arnold mit seinen männlichen Gesichtszügen und seiner sportlichen Figur gefiel Nina deutlich besser.
"Freut mich sehr, dich kennen zu lernen, Nina,", sagte er mit einem gewinnenden Lächeln. "Deine Tante hat mir schon viel von dir erzählt."
Beim Skifahren mussten sie Rücksicht auf Nina nehmen. Die war damals Anfängerin und konnte noch nicht jede Piste hinunterfahren. Doch weder Sebastian, noch die Tante, schienen große sportliche Ambitionen zu haben. Sie quatschen viel miteinander und schlossen auch Nina häufig mit ein. Das Skifahren war wohl eher Nebensache. Bald kehrten sie in eine Hütte ein.
Immer wieder ließ Sebastian seinen gehobenen Lebensstil und seinen geschäftlichen Erfolg durchblicken. Die Immobilienpreise hatten sich in den vergangenen zehn Jahren vorteilhaft entwickelt und Sebastians Wohlstand weiter erhöht. Er gab sich aber nicht nur wohlhabend, sondern auch sportlich und dynamisch.
"Ich liebe es, im Winter Ski zu fahren." erklärte Sebastian. "Es ist einfach herrlich, die Freiheit auf den Pisten zu genießen. Letztes Jahr war ich drei Wochen in Aspen. Dieses Jahr habe ich mir aber vorgenommen, sesshaft zu werden und mich nach einem Haus in den Alpen umzusehen. Also privat, nicht für die Firma."
Nina lächelte höflich und tat so, als ob sie das beeindrucken würde, doch insgeheim fand sie die Art einfältig und langweilig. Er war also wohlhabend. Ihre Eltern waren auch nicht gerade arm. Na und? Obwohl er ungefähr Arnolds Alter hatte, schien Sebastian innerlich schon viel älter zu sein. Und das nicht auf eine gute Art.
Als Sebastian kurz zur Bar ging, um Getränke zu holen, erkundigte sich die Tante, wie er Nina gefiel. Das war also der Plan. Es ging der Tante darum, sie jemandem vorzustellen, und nicht nur um das Vorbereiten eines Immobilienverkaufs.
"Wenn ich ehrlich bin, nur wenig."
"Aber er sieht doch so gut aus."
"Ja, begrenzt. Auf seine Weise." räumte Nina ein. "Aber er wirkt so gekünstelt. Ich dachte, du willst ihm Immobilien verkaufen und nicht, mich mit ihm verkuppeln."
"Natürlich habe ich das nicht geplant. Aber als ich euch beide so gesehen habe, dachte ich, ihr würdet ein großartiges Paar abgeben."
"Danke, aber er ist nicht mein Typ."
"Gut aussehend. Reich. Fleißig. Die meisten Frauen würden sich den sofort an den Hals werfen. Was ich natürlich nicht von dir erwarte. Das machst du bitte nicht."
"Keine Angst.", lachte Nina und fasste ihrer Tante an die Handfläche. "Ich weiß, dass du es gut meinst. Objektiv betrachtet ist Robert eine gute Partie. Nur ist es nicht mein Typ."
"Er ist ein erfolgreicher Mann und könnte dir mehr als nur ein gutes Leben bieten."
"Ein gutes Leben reicht mir aber."
"Du kommst ganz auf deine Mutter. Wie geht es meiner Schwester eigentlich?"
Nina wollte gerade ausführlich erzählen, was ihre Eltern auf Mallorca so trieben, doch Sebastian kehrte mit ihren Bestellungen zurück, sodass sie sich kurzfassen mussten.
Irgendwann begann die Nachmittagssonne unterzugehen, und sie fuhren langsam zur Talstation. Dort beschlossen sie, noch irgendwo zum Abendessen einzukehren. Eigentlich wäre Nina lieber zurück in ihr Hotel gegangen, aber sie wollte nicht unhöflich sein und so schlimm fand sie Sebastian auch wieder nicht.
Als ihre Tante sich kurz entschuldigte und alleine ließ, kam Sebastian mit seiner Einladung an.
"Am liebsten würde ich hier noch die ganze Woche Skifahren, aber ich muss am Samstag zum deutschen Filmball. Hast du Lust, mich zu begleiten? Ich kann noch eine Person mitnehmen."
Das war natürlich schon ein Angebot. Nina studierte Theaterwissenschaften. So ein Event fand sie hochinteressant. Und sie hatte da die Chance, Kontakte zu knüpfen, die ihr später weiterhelfen konnten.
"Tut mir leid.", entschuldigte sich Nina spontan. "Ich habe da schon etwas vor."
Diese Person war sie nicht. Sie wollte nicht nur eines Vorteils wegen mit jemandem etwas unternehmen. Außerdem wäre sie da Sebastians Begleitung gewesen und nicht frei. Das war nicht dasselbe wie mit einer Freundin hingehen oder mit Arnold. Da ließ sie ihr Abendkleid lieber hängen, um in einen gemütlichen Winterpulli zu schlüpfen.
Auf dem Nachhauseweg warf sie einen Blick auf ihr Handy. Arnold hatte angerufen und ihr eine Message geschickt, dass er sich freute, sie morgen zu sehen. Nina wählte seine Nummer.
"Du willst mich also erst morgen sehen?", begann sie das Gespräch.
"Ja, ich wusste nicht, wie lange die Sache mit deiner Tante geht."
"Der Termin ist jetzt vorbei. Ich spaziere gerade zurück ins Hotel und werde erst einmal unter die Dusche springen."
"Schade. Ich hätte dich noch gerne gesehen."
"Wer sagt, dass wir uns nicht sehen können?"
"Was willst du tun?"
"Auf jeden Fall nicht ausgehen. Eigentlich nur entspannen. Am liebsten zusammen mit dir. Komm mich doch in einer Stunde im Hotel besuchen."
Es war nur eine Frage der Zeit, bis Nina und Arnold auch offiziell ein Paar wurden. Sie studierte erst einmal in München und kam ihn an den Wochenenden besuchen. Doch irgendwann machte sie ihr Diplom und zog vollständig zu Arnold. Die Eltern lebten zwar auch in dem Haus, das war aber so groß, dass man sich gar nicht ins Gehege kam. Das Erdgeschoss wurde an ein Reisebüro und eine Kindermoden-Boutique vermietet. Ihre Wohnung hatte außerdem einen eigenen Eingang.
In diesem Haus lebten sie glücklich, und das für eine lange Zeit. Sie pendelten zwischen Berggipfeln und Surf-Urlauben, sie und ihre drei Kinder. Die standen schon im frühsten Alter auf den Brettern und wurden natürlich, so wie fast all ihre Schulkollegen, ausgezeichnete Skifahrer. Das galt auch für Nina. Die verbesserte ihre Skikünste weiter, bis sie wirklich gut darin wurde. Außerdem lernte sie surfen. Nina übernahm große Teile von Arnolds Lebensstil. Nicht für ihn, sondern weil es sie selbst begeisterte. Außerdem passte sie das Ganze ein wenig an. So ging es mindestens ein Mal im Jahr nach Mallorca, wo Nina ihre Eltern besuchte und die Kinder ihre Großeltern sahen. Da es sie meist im Herbst auf die Baleareninsel zog, gleich nach Portugal, konnte Arnold dort auch halbwegs surfen.
Doch sowohl für Nina wie auch für Arnold und die Kinder blieb das größte Steckenpferd das Skifahren. Schließlich lag die Talstation gerade mal fünf Minuten von ihrem Haus entfernt. Manchmal fragte sich Nina, ob der Winterurlaub, in dem sie sich in Arnold damals verliebt hatte, jemals wirklich zu Ende ging.