Hund als Überraschung
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Anna machte sich wie jedes Jahr mit eher gemischten Gefühlen in ihrem alten Golf auf den Weg von Hamburg in das kleine Städtchen an der Ostsee, um gemeinsam mit ihren Eltern die Weihnachtstage zu verbringen. Zwar freute sie sich darauf, gemütlich vor dem Kamin zu sitzen und zu lesen, lange Strandspaziergänge mit Rudi, dem gutmütigen Schäferhund ihres Vaters, zu unternehmen, und auch den Festtagsbraten und die leckeren Weihnachtsplätzchen ihrer Mutter wusste sie durchaus zu schätzen. Aber ihr graute vor den unvermeidlichen Befragungen ihrer Eltern, wie es denn um ihr Liebesleben stünde. Schließlich war Anna schon deutlich über 30 und ein Schwiegersohn, oder notfalls auch nur ein Lebensgefährte, waren nicht in Sicht. Natürlich schwang insbesondere bei ihrer Mutter auch immer der Vorwurf mit, dass Anna als einziges Kind es ihr nicht ermöglichte, endlich Großmutter zu werden. Anna hasste die Bemerkungen, die ihre Eltern regelmäßig zu ihrem Single-Status machten.

Dabei hätte sie es gerne ebenfalls anders. Eine große Familie mit liebem Mann und vielen Kindern war vor langer Zeit einmal ihr Traum gewesen. Von dem hatte sie sich mittlerweile schon mehr oder weniger verabschiedet, aber ein Partner, mit dem man gemeinsam durch dick und dünn gehen kann, das wünschte sie sich von ganzem Herzen. Doch es schien aussichtslos ...

Im letzten Jahr hat sie nicht einen Mann getroffen, weder beruflich noch privat, der sie interessiert hätte. Vielleicht hatte ihre Mutter ja auch recht damit, dass sie einfach zu nüchtern war. So könne es mit der Romantik nicht klappen. Doch Anna hatte durchaus ihre sentimentalen Augenblicke, wie sie sich eingestehen musste, insbesondere, wenn sie an Robert, ihre erste große Liebe dachte. Unglücklicherweise hatte Robert das aufregende Leben im australischen Sydney dem beschaulichen Dasein in der norddeutschen Provinz vorgezogen.

Als sie sich missmutig in die Schlange der Autos einordnete, die auf der großen Ausfallstraße Richtung Autobahn fuhren, dachte sie an die angekündigte Überraschung, die ihre Eltern ihr für das diesjährige Weihnachten in Aussicht gestellt hatten. Schlimmer als die beiden Jahre zuvor konnte es eigentlich nicht werden.

Vor zwei Jahren hatte ihre Mutter ihr unter dem Weihnachtsbaum mit aufmunternden Bemerkungen einen Gutschein für eine Typberatung überreicht. Als Anna dann von ihren Eltern genötigt, tatsächlich das Kosmetikstudio aufsuchte, in dem das Beste aus ihrem Typ gemacht werden sollte, lernte sie so wichtige Dinge, wie Lippenstift immer passend zum Nagellack auszusuchen, oder dass Strähnchen stets jünger machen. Im folgenden Jahr gelang es ihren Eltern tatsächlich, die Peinlichkeit dieses Geschenks noch zu überbieten, indem sie ihr die 6-monatige Mitgliedschaft in einer Singlebörse für Akademiker schenkten. Hier allerdings weigerte sich Anna, von dem Geschenk Gebrauch zu machen, was ihre Eltern schwer enttäuschte. Was mochten sie sich in diesem Jahr wohl ausgedacht haben, grübelte Anna. Ein Singlewochenende im Harz vielleicht?

Es schien jedenfalls etwas zu sein, was zumindest ihre Eltern in große Aufregung versetzte. Denn seit ihrer Ankunft am Vortag des Heiligen Abends gab es kein anderes Gesprächsthema als die bevorstehende Überraschung, die Anna erleben würde. Ein Hund, dachte Anna, sie werden mir einen Welpen schenken, damit ich nicht so alleine bin. Ich hätte ihnen niemals erzählen sollen, dass es völlig unproblematisch wäre, einen Hund mit in die Kanzlei zu nehmen. Als sie ihrem Vater dann noch entlocken konnte, dass es sich um ein Lebewesen handelt, das ihr wahrscheinlich schon bald sehr viel bedeuten würde, war Anna sich endgültig sicher, dass sie mit ihrer Vermutung richtig lag. Anders als im Vorjahr würde sie dieses Geschenk nicht ablehnen können, doch Anna hatte schon einen Plan, wie sie den felligen Lebenspartner wieder los werden konnte. Sie würde den Hund eine Woche mit nach Hamburg nehmen, dann feststellen, dass es beim besten Willen nicht geht und ihn dann zu ihren Eltern als Spielkamerad von Rudi bringen.

Der große Moment näherte sich, doch den ganzen Tag konnte Anna weder ein Winseln oder Jaulen hören, noch zeigte der träge Rudi irgendeine Spur von Aufregung, die selbst er verspüren würde, wenn sich ein zweiter Hund im Haus befände. Wahrscheinlich haben sie ihn bei den Nachbarn untergebracht, dachte sich Anna. Der Weihnachtsbaum wurde angezündet, die üblichen Lieder gesungen, dann war es Zeit für die Bescherung. Obwohl Anna eigentlich verärgert über das unerwünschte Geschenk ihrer Eltern war, musste sie insgeheim darüber lächeln, wie nervös die beiden waren. Dann klingelte es an der Tür, der nette Nachbar mit meinem Hund, dachte Anna, als sie von ihren Eltern aufgefordert wurde, zu öffnen. Sie ging zur Tür und öffnete sie langsam - dann blieb sie mit offenem Mund stehen und konnte sich nicht mehr bewegen. Im Türrahmen stand, groß und genauso attraktiv, wie sie ihn in Erinnerung hatte, Robert und strahlte sie an.