Martina fröstelte, als sie die kühle Morgenluft verspürte, doch innerlich war es ihr sehr warm ums Herz. Es war noch nicht einmal richtig hell, kurz vor halb sieben, und vor ihr lag ein langer Arbeitstag am Verkaufstresen der Bäckerei. Sie war froh über diesen Nebenjob, denn als Studentin konnte sie jeden zusätzlichen Euro gut gebrauchen.
Jeden Freitag stand sie von morgens bis abends im Laden, verkaufte Brötchen, Brot und Kuchen und war freundlich zu den Kunden. Doch seit einigen Wochen ging sie mit Herzklopfen ihrer Arbeit nach. Denn regelmäßig erschien der gleiche Kunde, der immer zwei Croissants und einen Cappuccino zum Mitnehmen kaufte.
Er strahlte Martina bereits an, wenn er die Bäckerei betrat, und genauso freundlich, ja fast liebevoll, lächelte er ihr zu, wenn er seine Tüte mit den Croissants, den Kaffee und das Wechselgeld entgegen nahm. Das Wechselgeld - Martina musste schmunzeln, wenn sie an das freitägliche Ritual dachte. Er zahlte nämlich immer mit einem 100-Euro-Schein. Beim ersten und zweiten Mal hatte er sie damit ganz schön in Verlegenheit gebracht. Sie musste ihre eigene Geldbörse zu Hilfe nehmen, damit sie ihm passend herausgeben konnte. Inzwischen wusste sie Bescheid und ihre Chefin sorgte dafür, dass bereits am frühen Morgen genügend Wechselgeld in der Kasse war. Auch außerhalb der Arbeitszeit dachte sie oft an ihn. Seit die Beziehung zu ihrem früheren Freund in die Brüche gegangen war, spürte sie nun zum ersten Mal wieder Interesse an einem Mann. Mehr noch, wenn sie ganz ehrlich war, dann sehnte sie sich nach Liebe und Wärme.
Es gab immer ein kleines, freundliches Geplänkel zwischen den beiden, aber ausführlich hatten sie noch nicht miteinander geredet. Trotzdem war sich Martina sicher, dass von seiner Seite aus auch ein gewisses Interesse vorhanden war. Von Frau Gruber, der Chefin der Bäckerei, kamen auch schon mehrfach Andeutungen in diese Richtung. Martina überlegte, ob sie vielleicht den ersten Schritt machen sollte. Aber ihr fiel nichts ein, womit sie den netten Kunden in ein längeres Gespräch verwickeln könnte. Außerdem waren sie ja fast nie alleine - oft standen weitere Kunden in der Schlange, die ebenfalls bedient werden wollten.
Einmal waren sie nur zu zweit gewesen, doch ausgerechnet da tauchte ihre Chefin auf und brachte ein großes Tablett mit Kuchen aus der Backstube. Martina konnte also nichts weiter unternehmen, als freundlich und aufmerksam zu sein. Und hübsch aussehen natürlich! Das war nicht weiter schwierig. Martina hatte eine attraktive Figur, lange, hellbraune Haare und freche grüne Augen. Zudem verbrachte sie vor jedem Arbeitstag viel Zeit vor dem Spiegel.
Sie hängte ihren Mantel im Personalraum auf und band sich die weiße Schürze um, dann betrat sie den Verkaufsbereich. Alles war sauber und ordentlich, Martina warf einen letzten prüfenden Blick über die Auslage. Dann sperrte sie die Ladentür auf. Die Tür öffnete automatisch, sobald jemand von draußen oder drinnen auf den Auslöser trat. Auch hier strömte eisig kalte Luft herein, die sich mit den herrlichen Düften des frischen Gebäcks mischte. Nun, es war Anfang Dezember, da durfte es ruhig kalt sein. Die ersten Kunden trafen ein, Martina verkaufte wie immer fleißig. In der Kasse erblickte sie das vorbereitete Wechselgeld für ihren Spezialkunden mit dem 100-Euro-Schein.
Er selbst kam an diesem Morgen allerdings nicht. Sie sah immer wieder zur Eingangstür, sie sah auf die Uhr, doch von ihm war keine Spur zu sehen. Martina merkte, wie ihre gute Laune nachließ. Hatte sie sich zu früh Hoffnungen gemacht? Jetzt verkaufte sie auch noch das letzte Croissant, wieder musste sie an ihn denken. Was, wenn er heute verspätet auftauchte und die knusprigen Hörnchen bereits ausverkauft waren - sollte sie ihm dann etwas anderes anbieten und hoffen, dass sich daraus ein längeres Gespräch entwickeln würde? Die Besitzerin der Bäckerei stand am anderen Ende der Auslage und baute gerade eine kunstvolle Pyramide aus Weihnachtsplätzchen. Sie sah zu Martina hinüber und lächelte heimlich.
"Martina, Sie denken doch daran, dass wir heute Abend noch eine kleine Nikolausfeier machen?" Martina nickte geistesabwesend. Sie wollte eigentlich nur, dass dieser Tag zu Ende ging und sie nach Hause konnte. Am besten freute sie sich auf den nächsten Freitag, vielleicht war er dann wieder da und kaufte bei ihr ein. Der Arbeitstag zog sich zäh dahin, bis sie endlich am Abend zusperren konnte. Auf dem Weg in den Personalraum begegnete ihr Frau Gruber. "Schnell, beeilen Sie sich, der Nikolaus wartet nicht gerne!"
Martina schlich müde in die warme Personalstube. Da saßen schon Franz, der Bäcker und Ehemann von Frau Gruber, Sebastian, der in der Backstube lernte, und die Kolleginnen, die an den anderen Tagen in der Bäckerei arbeiteten. Martina ließ sich auf einen Stuhl fallen und gähnte hinter der vorgehaltenen Hand. Sie wollte heim und auf der Couch entspannen, auf die groß angekündigte Nikolausfeier hatte sie keine Lust. Jetzt kam Frau Gruber herein und hatte den Nikolaus im Schlepptau.
Der Nikolaus begrüßte alle mit tiefer Stimme, und Martina bekam einen riesengroßen Schreck. Diese Stimme war zwar verstellt, aber sie kannte sie doch! Der Nikolaus griff in seinen großen Sack und verteilte die Geschenke. Nun war Martina an der Reihe. Mit zitternden Fingern nahm sie das schmale Päckchen entgegen. Sie riss das Geschenkpapier auf. Darin war ein 100-Euro-Schein, kein echter, sondern eine Kopie in Übergröße. Auf dem Schein stand: „Kannst du wechseln? Von Single zu Paar?“ Martina nickte und war überglücklich, als sie der Nikolaus in die Arme nahm und unter dem Beifall aller Gäste küsste.
Autor: Christiane Weber